Inklusion

Ich hatte mir überlegt bei Frau Kubbutat einen Text zum Thema Einsamkeit einzureichen. Aber einsam bin ich beim besten Willen nicht, auch wenn Corona mein Leben diesbezüglich doch sehr negativ beeinflusst hat. Ich gehe Dank der Segnungen der Technik noch weniger raus als früher schon und vermeide inzwischen sogar Präsenztermine, die mir vor Corona letztendlich gut getan haben, auch wenn sie anstrengend waren.

Aber von der Einsamkeit ist es zu Überlegungen zu eigenen Inklusion nicht weit. 

Im scheinbar passenden Moment sage ich manchmal ich sei ein Inklusionsversager. Denn bei all meiner Bekanntheit, bei den vielen Kontakten - inzwischen sind es im Wesentlichen virtuelle Kontakte - ist mein Leben sehr einseitig. Ja, ich bin aktiv, habe Arbeit, die mir (wieder) Freude macht. Aber ich befinde mich in einer Psychiatrieblase. Andere Themen interessieren mich kaum und bei gesellschaftlichen Anlässen bin ich in der Regel eine Randfigur. Meine frühere Sozialarbeiterin im Sozialpsychiatrischen Dienst Emmendingen sagte mir schon kurz nachdem wir uns kennen gelernt hatten "der Herr Höflacher ohne Psychiatrie existiert nicht '. Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen. Ich beziehe den Großteil meines Selbstwertes aus meiner Selbsthilfearbeit. Ich halte es kaum 15 Minuten aus ohne meine Mails oder WhatsApp zu checken und dabei sind private Kontakte eindeutig in der Minderzahl. Irgendwie hat alles bei mir mit seelischer Gesundheit zu tun. 

Das ist die Beschreibung des Zustandes. Aber warum ist das so? Wozu dient das? 

Ich habe mich so daran gewöhnt nur mit Psychiatrieerfahrenen zusammen zu sein und lebe seit sehr vielen Jahren außerhalb der Restgesellschaft, dass ich gar nicht mehr wahrnehme, dass mir etwas fehlt - oder fehlt mir tatsächlich nichts? Die wenigen Begegnungen mit nichtpsychiatrieerfahrenen Menschen außerhalb meiner Arbeit sind mir eher unangenehm und machen mich unsicher. Bei "meinen" Psychiatrieerfahrenen fühle ich mich wohl und verstanden. Wo werde ich sonst wieder wortlos in die Gemeinschaft aufgenommen, obwohl ich in der Psychose ziemlichen Mist gebaut und alle um mich herum nur genervt habe? Wo werde ich verstanden, wenn ich von meinen Stimmungsschwankungen erzähle und mich morgen ganz anders verhalte als heute? Wo wird verstanden, welche Anstrengung es mich kostet, das zu tun, was anderen ganz leicht von der Hand geht?

Sicherlich schränkt meine Art zu Leben meinen Horizont stark ein und mir entgehen viele aufregende Erlebnisse. Auch wäre es bestimmt interessant fremde Lebenswelten kennenzulernen. Aber es zieht mich nicht wirklich dahin. Bin ich zu ängstlich und mutlos Inklusion zu wagen? Sitze ich zu bequem in meiner Komfortzone? Muss ich mir Gedanken machen, weil es mir nicht wirklich schlecht geht ohne Inklusion? Mache ich mir etwas vor? Ist die Welt, die draußen auf mich wartet, wirklich so attraktiv? Brauche ich Inklusion wirklich, um einen Lebenssinn zu finden? 

Mein Lebenssinn ist meine Psychiatrieerfahrenen-Familie zu unterstützen, auch wenn ich dieses Ziel nicht jeden Tag bewußt vor Augen habe. Vieles ist eben mit den Jahren zur Routine geworden und ich tue heute Gutes, weil ich es gestern auch schon getan habe. Wenn ich dann Lob und Anerkennung bekomme, nehme ich das oft gar nicht richtig wahr. Es dringt nicht dorthin durch, wo es lebendig machen könnte. Auch das ist erschreckender Weise zur Routine geworden. 

Manchmal habe ich es satt mir Gedanken darüber zu machen, ob ich mich richtig verhalte, wie ich mein Leben verbessern könnte. Auch habe ich es dann satt über Inklusion nachzudenken. Sollte ich nicht nur einfach das tun, was ich tue, solange ich nicht darunter leide. Mir geht es gut, reicht das nicht? Soll ich es mir weiter schuldbewusst anhören, wenn andere davon schwärmen, wie bereichernd gelebte Inklusion ist? Nicht immer wieder dieselben Gedanken zu diesem Thema denken, sondern so zu leben, wie es mir entspricht. Und es entspricht mir, weil es ist, wie es ist. 

Mein Motto lautet "zwischen Streben und Sein". Wie wäre es, wenn ich das Streben beenden würde, um zu sein. Das heißt nicht nichts mehr zu tun, sondern nur diesen Optimierungsdruck raus zu nehmen. Bin ich inkludiert? Warum und warum nicht? Egal. 

Dieser Text ist vielleicht ein wichtiger Schritt zu mehr Lebensqualität. Nicht mehr mit den Köpfen anderer denken. Nicht mehr den Idealen anderer folgen. Akzeptieren, dass ich nicht nach Inklusion strebe und nicht darüber nachzudenken, warum ich das nicht tue und ob das gut oder schlecht ist. Meine eigenen Werte finden und danach zu leben. Ich weiß, vielleicht für erwachsene Menschen alles banal. Manchmal dauert es eben lange, bis man soweit ist. Und manchmal dauert es eben lange, bis man damit anfängt. 








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